Mongolie

Gebäude, wenn man an ihm vorüber liefe, hätte man eine Rechtskurve zu gewärtigen. Da diese vom Signal angekündigte Rechtskurve in einer Steigung liegt, ist sie angemessen nur in einer dreidimensionalen Matrix darstellbar. Die im Bildvordergrund hübsch anschneidende Steigung und die Kurvenankündigung sind, abgesehen von der hängenden Oberleitung, die einzigen nicht rechtwinkligen Bildelemente. Im Groben gesprochen. Sicherlich gibt es noch den Schriftzug, auf den ich später zu sprechen kommen werde. Es gibt die Treppe, die schräg ansteigt, aber dies immerhin durch Anhäufung kleiner rechter Winkel tut; es gibt außerdem jenes deformierte Gitter links, die abschüssige Dachbahn des Vorbaus rechts und so weiter. Aber mir kommt es jetzt auf die beherrschenden Bildinhalte an, und so stellt sich mir das Schräge dem Geraden jetzt deutlich gegenüber. Ist aber mit diesem Befund etwas deutlich geworden? Habe ich das, was ich hier sehe, durch diese sagen wir grafische Feststellung aus seiner Bedenklichkeit herausgelöst? Nein. Allenfalls habe ich das, was hier auf den ersten Blick störend unaufgeräumt und durcheinander wirkt, durch eine erste Bildanalyse aufgeräumt. Die Manie, eine Gruppe ungeordneter Elemente in zwei Gruppen gleicher oder zumindest einander ähnelnder Elemente einzuteilen, hat ja für den Menschen eine beruhigende Wirkung, wenn auch ihr Versprechen auf Erkenntnisgewinn eine Illusion darstellt. Mit der wir uns täglich abfinden.
Dies einsehend, will ich nun einen Hinweis aufgreifen, der in der Aufschrift liegen könnte, der man sofort nachgeht, weil man ansonsten aus diesem Patchwork so leicht keine Botschaft zu lesen vermag. Ein Pub sei hier. So? War hier. Aha. Des Namens Agnum. Aber wie mag er zugänglich gewesen sein? Führte die freiliegende Treppe zu ihm in den ersten Stock? Sein Eingang war doch wohl nicht hinter der schmalen Tür des flachen Vorbaus, den man nachträglich davorgestellt haben musste zum Schutz, zum Verbergen, zum Stauraum.
Agnum ist der Akkusativ von agnus: Lamm. „Lupo agnum eripere postulant.“ Von Plautius geprägte Rede für: »etwas Unmögliches verlangen«, wörtlich: Sie verlangen vom Wolf, dass er das Lamm retten möge. Ja, unmöglich ist es, hier etwas verstehen zu wollen, denke ich und will resignieren.
Ich bezweifle, dass ich bei diesem Palimpsest verbergende Schichten abtragen könnte beziehungsweise die erhaltenen Fragmente zu lesbaren Spuren ergänzen könnte. Ich bezweifle, dass es überhaupt so etwas wie eine älteste Version je gab, die hier einen Sinn ergab. Nietzsche aber lehrt uns, nicht zu glauben, das Älteste sei immer das Höchste, Echte, Interessanteste. Also lasse ich hier ab von meinem Agnum Pub, und gehe, am Betrunkenen vorbei, der vor seiner Frau im Schnee kniet, die mich wiederum, als ich die beiden fotografiere, derart wüst beschimpft, dass sie darüber ihren Mann, den sie von den Knien aufzuheben versucht hatte, einfach loslässt und in den Schnee zurücksinken lässt.

***

Wir sind nicht der Wunschgast der Mongolen.

***

Es gibt keine Mongolei. Es gibt nur meine Mongolie. Und deine natürlich, aber sie heißt sicher anders.