觀看、閱讀、聆聽、驚嘆
sehen, lesen, hören, staunen
Alles schmeckt hier anders. Aber das bemerkt man erst, wenn man das Gleiche isst oder trinkt (oder…) wie zu Hause. Wasser zum Beispiel trinkt sich viel dicker hier, es ist nicht so transparent und durchgehend wie in Europa. Wenn ich zu Hause Wasser getrunken habe, ist es weg, ich fühle höchstens den Mund angenehm befeuchtet und meine Därme werden elastischer nach wenigen Sekunden, aber ansonsten materialisiert sich das Wasser nicht und hat kaum Qualität beim Trinken. Es fällt höchstens negativ auf, wenn das Trinkgefäß muffig ist und also das Wasser abgestanden oder wenn der Chlor- oder Kalkgehalt zu hoch ist. In China ist das Wasser dick und schwer, es bleibt im Körper, bis es wieder ausgeschieden ist, es bleibt da auch nach dem Trinken, ja, erst recht sogar. Man fühlt sich von innen vom Wasser ausgehöhlt, ausgedickt, geprägt, sichtbar nach außen vielleicht sogar!
Gestern fand ich beim Jenny Lou, dem Supermarkt für Ausländer, eines meiner Lieblingsbiere aus Deutschland, Erdinger Weizenbier. Es kostete übrigens kaum mehr als zu Hause, 12 RMB, also etwa 1,50 EUR. Ich trug es nach Hause und zelebrierte, obwohl ich still gegen diese mir unangenehme Pathetisierung rebellierte, das bevorstehende Trinkereignis. Das dann enttäuschend ausfiel. Das Bier schmeckte dicklich, malzig, nach Zucker, nach Hefe, alle Geschmacksnoten waren unausgewogen, ich schaute immer wieder auf das Etikett: Doch, es war in Deutschland hergestellt, kam aus derselben Brauerei, die auch jenes Bier herstellt, das ich in Berlin auch nach einem Jahrzehnt noch jeden Abend beim ersten Schluck genieße, als würde ich ein Geschenk des Himmels erstmals aus dem Geschenkpapier wenden. Jenes Weizenbier ist mir in Berlin so köstlich, dass ich von kleineren Reisen in andere Länder aus mich mit dem Gedanken an den ersten frühabendlichen Schluck regelmäßig und zuverlässig auf das Nach-Hause-Kommen freuen kann. Von China aus funktioniert dieser Beruhigungsmechanismus nicht; ich bekomme es schließlich hier zu kaufen, anders als in Portugal oder Italien. Und dass es hier nicht schmeckt, kann das Heimweh nur dekonstruieren. Denn, wie wir alle wissen: Das Heimweh treibt uns vor allem deshalb so stark, weil wir das daheim Gewohnte in der Ferne vollkommen entbehren müssen und so verzehren wir uns in den Erinnerungen an die schönen Stunden und das in diesen Genossene und in uns Geflossene. Hier aber werde ich jenes Bier nicht mehr kaufen und trinke lieber das ausgesprochen schale, aber eben hierhergehörende leichte Yanjing-Bier. Es schmeckt eher nach Wasser als nach Weizenbier. Falls es jemanden interessieren sollte, dich vielleicht Hans Josef?
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Was sind das für archetypische Figuren, die da aus den Pekinger Gelenkbussen zum Fenster hinaushängen und mit etwas neuzeitlicheren Megaphonen, als zu diesem Schauspiel passen würde, in die Straße, auf die Straße blöken, im Einzelnen Unverständliches, aber dem Ton nach unverkennbar Befohlenes, das keine Antwort erwartet. Auch keine Antwort duldet, es ist kein Aufnahmeorgan an dieser Apparatur zu erkennen, deren Menschliches – das Gesicht mit dem bewegenden Mundwerkzeug – zwischen dem kleinen Fenster nur gelegentlich zu erhaschen ist, die Stimme ist omnipräsent, schallt herauf zu mir ins sechzehnte Bürostockwerk. Sollen alle verschwinden, „AUS DEM WEG! AUS DEM WEG!“? Oder geht es um mehr als bloße Verkehrsbereinigung? Und wenn beim Rechtsabbiegen des Busses die Hand als Kelle wedelnd heraushängt aus eben jenem Fenster, wird damit den längs am Bus Vorüberfahrenden befohlen, stehen zu bleiben und dem Bus Vorfahrt zu lassen, oder geschieht es zum Ausruhen des Rufers?


asdf . adse . adhs

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Café Tipsy, ich sah es öfters dieser Tage, und jetzt kommt es mir zum ersten Mal vors Bewusstsein. Ich werde hinfahren am Wochenende, dem vor der Tür, wie gesagt wird, stehenden.
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beijing+ / mein tagebuch aus dem jahr 2017
This is Shanghai. This is to say: It was Shanghai. Me walking down a Downtown Shanghai street on a Saturday afternoon that was special for me, not for Shanghai, I guess. Special for me since there have not been so many Saturday afternoon walks in Downtown Shanghai in my life so far, and there will probably not be much more in the rest of it. But, for my comfort, I thought, there will be the one or the other Saturday afternoon stroll through Downtown Shanghai for me still to come.
Next Saturday: Back in Beijing, on bicycle of course.
Halunke Halodri. – Am Morgen (gerade eben!) hatte ich eine sogenannte vielversprechende Aufzeichnung anzufertigen begonnen, die ich dann aber, im Zustand völliger Unfertigkeit, wegen einer um neun Uhr aufzunehmenden, Einkünfte im Umfang von hundert Euro versprechenden Tätigkeit hatte liegen lassen müssen und die mir später (jetzt!) völlig unmöglich wiederaufzunehmen oder gar zu Ende zu bringen war (ist). In dieser Aufzeichnung sollte die Rede sein davon, dass in chinesischen Hotels zwar täglich vom Zimmerpersonal gereinigt und aufgeräumt werde, dass dieses Reinigen und Aufräumen jedoch ein äußerst nachlässiges sei, dergestalt, dass gerade durch die Nachlässigkeit des Reinigens und Aufräumens Schmutz und Unordnung erst sichtbar werden. Würde nicht geputzt und aufgeräumt, würde der starrende Schmutz nicht auffallen, so aber starrte den am späten Nachmittag auf sein Hotelzimmer Kommenden immer wieder auf das widerwärtigste der neue alte Schmutz an, der täglich aufgewischt wurde mit schmutzigem Wischwasser, das dann, angereichert sozusagen, auf dem Boden und auf dem Geschirr täglich wieder Flecken auflassend eintrocknete. So ist das erneuerte Alte älter als das alt gelassene Alte. Indem der alte Schmutz auf chinesische Art gewaschen wird, wird er erneuert in seiner Schmutzigkeit. Es ist eine alte, erneuerte, schmutzig herüberkommende und noch schmutziger werdende Drecksarbeit, dachte ich.
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Übriggebliebene Erbschaft – Auf einem gelben Zettel, den meine frühere Pekinger Studentin Li Guang Ping an einen Beutel mit Habseligkeiten, die sie während ihres einmonatigen sog. Studienaufenthalts in Berlin angesammelt und nicht wieder mit nach China nehmen, sondern für einen polnischen Freund in Berlin bei mir hinterlegen wollte, geheftet hat, steht zu lesen: „… diese Kleiderbügel kann ich auch nicht mitnehmen. Aber ich will sie nicht irgendwo lassen, denn ich habe meine Kleidung daran gehängt und sie tragen schon meine Spur. Wenn die Leute, die ich nicht kenne, sie verwenden, ist es mir unangenehm. So sie sind für dich! [Seitenumbruch] wertlos, aber ja, ich bin komisch, will sie nicht wegwerfen. Ping.“ – Der polnische Freund hat sich bis heute, vier Jahre später, bei mir nicht gemeldet.
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we don´t know if we would like someone to pull the stores aside. we never talked about it. we never thought about it. and if he were a stranger?
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Er konnte den Brillenladen nicht finden. Auf einmal, bei seinem zweiten Besuch, erschien ihm das Kaufhaus voller Irrgänge, deren einige blind waren und nirgends hinführten, deren andere in ein neues Labyrinth von kleinen Geschäften voller Waren und Plastikgerüche mündeten. Nach zwei, drei Abzweigungen konnte er sich die Himmelsrichtung nicht mehr merken, die er von außen als einzige Orientierungshilfe mühsam hereingeschleppt hatte in seinem Kopf. Bei seinem ersten Besuch war er unter Leitung der Freunde sogleich in dem kleinen, selbstverständlich fensterlosen Geschäft angekommen, er erinnerte sich an den unscheinbaren Kellerabgang rechts des Haupteingangs, zu dem die schweren grünen sackleinenen Vorhänge zur Seite geschoben werden mussten. Aber eine Etage unter der Erde in den glitzernden Verkaufspassagenbereich tretend, suchte er vergeblich nach einem Anhaltspunkt, den er hätte wiedererkennen können. Er lief im Kreis und nahm jeden noch so kleinen Laden, selbst jede noch so unscheinbare Tür in genauen Augenschein, um immer wieder am Treppenhaus anzukommen. Er probierte den gleichen Gang eine Etage tiefer, fragte Ladenverkäufer und Wachpersonal hier und dort, blickte in meilenweit entfernte Gesichter. Die Wächter waren schon ungeduldig, in zehn Minuten war das Gebäude zu räumen, hinter ihm wurden schon Ketten um die Flügeltüren gelegt. Da sah er eine Rolltreppe, die noch weiter nach unten führte, in eine möglicherweise dritte Verkaufsebene in der Tiefe. Mit einem Sprung war er auf der Lauftreppe, die, hoppla, viel zu schnell lief. Die verbliebenen Besucher des Kaufhauses mussten so schnell wie möglich hinausbefördert werden. Sie mussten, wie der zweite Gedanke auf der Rolltreppe ihm sagte, sogar hinausgeschleust werden, denn er sah, dass keine Rolltreppe in der Gegenrichtung hinauf- und also wieder in den zweiten Stock zurückführte. Aber es gab noch zwei weitere unmittelbar sich anschließende Gedanken: Unten war gar keine Ladenfläche, sondern nur mehr die Autotiefgarage, er würde also, einmal unten angekommen, direkt wieder umkehren. Aber der vorherige Gedanke hatte dies ja bereits als unmöglich angezeigt. Er steuerte nun der Glastür entgegen, bloß um diese, wie es ihm kurz im Sprung schon gebläut hatte, verschlossen zu finden. Die Schleuse ließ nur einen Ausgang, nur eine Fahrtrichtung zu, aber der Ausgang war verschlossen. Mit jener Blitzvision der verschlossenen Tür gegen den Schock über das Eingeschlossensein gefeit, sah er sich im Nu schon die Treppe gegen die Fließrichtung hinaufrennen und lachte kurz auf vor dem Bild dieses Kabinettstücks, das ihm im Kopf aufschien, als er keine Sekunde einhielt und mit Anlauf tatsächlich hinauflief. Es war ein Kraftstück: Hätte er Zuschauer gehabt, sie wären zwischen Staunen und Belustigung hin- und hergeschwankt. Es war ein Stück Arbeit, sein Körper arbeitete auf Hochtouren, aber alle Bewegungen waren von einer für ihn unsichtbaren, sogar undenkbaren Maschine perfekt gesteuert. Es musste ein nach innen weitverzweigtes Räderwerk vorhanden sein, dem er zu gern lange hinterherdenken wollte. Oben war er aber schneller, als er geahnt hatte und setzte nun zu einem letzten Versuch an, den Brillenladen zu finden.
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luring at me, he thought: you who has that camera shall not see that I see you!
my chinese – ultra unreal:
(1) das Phänomen des sleep on demand: Sobald vor dem Start des Flugzeugs das Smartphone abgeschaltet werden muss, schließt der Chinese rechts wie links das Auge, der Kopf sackt in den Kragen, die Hände finden sich gefaltet. Vereinzelt geht hier und da noch ein Löwengähnen durch die Kabine, des Sinnes etwa: „Ich lass jetzt los; lasst mich los, ihr Gedanken!“
(2) beiläufiger, ansatzloser Spurwechsel auf mehrspuriger Straße innerstädtisch und auch überall sonst. Changierendes Dahinfahren. Treiben, fast treibenlassen, wie von einer anderen Kraft geschoben.
(3) junger, maskuliner Chinese, vielleicht sogar Soldat, vergibt sich nichts, wenn er in der Öffentlichkeit einen zotteligen, verwaschenen kleinen Mischlingshund auf dem Arm hält und krault, dabei kindische Freude bekundend.
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14.2. – „I didn´t want Gerda to see me like this. She´s had enough to put with.“
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(Suchbild!)
*find the story!*
…Find the story behind the picture!, a guy who had just started working in our office the other day shouted at me who was on his way back to the heatened work-seat at the other end of the room. I was chewing on a kind of cashew nut when I just remembered I didn´t like cashew, thus hoping it was no more than a cashew flavoured chewing gum. „Why should I find the story behind the picture?“, thought I while seating gently backwards, being careful to land right on my grandmother´s self knitted. The picture that I was holding in my hand and I was only focussing this moment, didn´t have any behind. It was two-dimensional, just like most of the other pictures I had seen. Idiot, stupid!
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We were flying over Mongolia, and I was, of course, aware that I had been flying over Mongolia many times before. But I had never been to Mongolia. (I had only been to Inner Mongolia, which is similar but something else of course, since it has become part of China, ask the historians! But it has become an experience that comes up to my mind whenever I think about my future-yes-for-sure-travelling to Ulaanbaator, it associates with my every thought about Mongolia, without being Mongolia and with my rationality being absolutely certain that what my mind associates is NOT what it pretends to provide.)
As we were flying over Mongolia this time, I felt (or think I remember that I felt) that the day that I will actually get off the plane at the International Airport of Ulaanbaatar is going to be soon. And not, like before, on a day yet undetermined in the future of my life. I will not fly over Mongolia as many times as I already did before climbing down the gangway at Chinggis Khaan International, did I say to myself. (When I did that trip to Inner Mongolia in my old four wheel drive car, I think I remember right thinking that my goal was to get as close as possible to Mongolia, knowing beforehand I could not get across the border, but hoping to somehow finally get into Mongolia without administratively being in the „Mongolia“.)
While we were flying over Mongolia, I found myself asking myself whether it was by accident, that the passage I was just reading in the book I was reading, Andrzej Stasiuk´s essay „Wschód“, which I embarrassingly was forced to read in a german translation, was talking about Mongolia just the very moment we were flying over Mongolia. Since Mongolia is a rather large country, we were flying over Mongolia for quite some time. But, it needs to be said, the passage that Stasiuk writes about Mongolia is also a rather large one in a book which is not very voluminous in pages, but the bulk of feelings that Stasiuk deals with makes it an intense read that the two months I had spent in China this time was not enough to read it out. To such an extent, that I happened to arrive, in my x-th bite, at the passage that Stasiuk writes about Mongolia just when we were flying over Mongolia.
We must have overflown by now Mongolia, thought I, considering that I had read and thought and compared previous thoughts about Mongolia now for quite a while, when I looked up to the monitor that showed the aircraft´s position in relation to an electronically designed representation of Mongolia. And I learned that we were still flying over Mongolia.
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I. Neues vom 300er – Kinder, die im Bus aufwachsen, fragen vielleicht nie nach dem Wesen des Kommunismus, weil sie ihn unterwegs zu lernen meinen: An den schwarzen Limousinen, die gleichmäßig seitlich vorüber rauschen, in regelmäßiger scheinbarer Beschleunigung, immer wenn der Bus vor einer Haltestelle abbremsen muss. In diesen Wagen, hinter getönten Scheiben, sitzt meist ein Einzelner, einen Hörknopf im Ohr, der ihn während der Fahrt mit seinen Geschäften verbinden, diese weitertreiben lässt, als einziger stur geradeaus auf die Siegerstraße starrend, während ihn aus dem Bus hundert Augenpaare anschauen, alle zum rechten Winkel gegen die Fahrtrichtung, vor allem zum Nichtstun, zum Stillstand ihres Fortkommens verdammt. Zum Rausgucken ist jetzt Zeit, sofern man das Glück hat, nicht in der Mitte des Ganges zum Stillstand gekommen zu sein. Diesen etwa 60 cm breiten Durchgang vom Einstieg zum Ausstieg im Fond flankieren zwei das Ufer der Sitzreihen einnehmende Reihen, die den Durchrutsch nach hinten, jedoch kein Eindringen ans Ufer zulassen: Der Stehplatz an einer Sitzbank bietet immerhin so viel Anlehnfläche und Ruhe, dass er hart verteidigt zu werden verdient. Die Erholungspausen liegen zwischen den Haltestellen, an denen die neuen Fahrgäste wie die Hunnen einfallen, während man den Abgang der Aussteigenden gar nicht bemerkt. Der Bus nähert sich sehr vorsichtig der nächsten Haltestelle, an der zwei oder drei Vorgängerbusse der gleichen Linie zuerst abgefertigt werden müssen. Trotz der ruhiger werdenden Fahrt und nachlassender Motorengeräusche macht sich in der Kabine deutlich Unruhe breit. Druckluft entweicht lautstark, die Türen können nicht schnell genug aufspringen, da wird die bestehende Busgesellschaft schon auf ein neues unter Druck gesetzt. Durch das Loch ins Innere drängt die neue Masse, als ginge es darum, die besten Plätze einzunehmen, wo der Bus längst bis auf den letzten Platz gefüllt ist. Der Druck erhöht sich, man sieht ängstliche Blicke aus Augenwinkeln verschickt. Die Möglichkeit einer Panik liegt bei jedem Halt in der Luft. Genug Grund hätte man zum Auslösen des Knopfes. Angerempelt von drei Seiten, verteidigt man umso mehr jene dritte Seite – und sei es nur eine dünne Stützsäule –, an die man sich mehr presst als lehnt und verbissen drückt, um nur keinen Körper dazwischen kommen zu lassen. Ohne hinzusehen merkt man, wie sich gerade ein Mann am eigenen Hinterteil entlangschiebt. Als sich die Türen schließen, tritt im Nu eine leichte Entspannung ein, die Masse fließt ein wenig zurück in Richtung Tür, die Gefahr, der Kabinendruck könnte sich lebensgefährlich erhöhen, ist für den Moment gebannt, freie Raumflächen um die Hüfte entstehen, der Kopf hat wieder Platz, eine relativ geruchsfreie Zone zu suchen. Bald aber werden Umhängetaschen wieder schwerelos, eingeklemmt zwischen ihrem Träger und den anderen ist die Wirkung der Schwerkraft ihrem Besitzer entzogen. Nur wenn der Strom kurz vor und an den Haltestellen nach rückwärts einsetzt, ist Aufpassen angesagt. Hat die Tasche einmal Körperkontakt mit ihrem Besitzer verloren, wird sie vom Strom mit nach achtern gerissen, und mit ihr in der Schlinge jener. Geht es an der Haltestelle zu bunt zu oder zu laut her oder schaffen die zuletzt Eingestiegenen es nicht, den Raum vor den Türen zu deren Schließung zu räumen, fällt aus dem Megaphon eine schreiende und drohende SS-Stimme über sie her, deren Wortlaut ich nicht verstehe, aber du auch gar nicht hören magst, denn schon allein ihr Ton verspricht die schlimmste Strafe nebst unverzüglicher Vollstreckung an Ort und Stelle.
II. Der 300er ist ein Linienbus in Beijing, der den 48 km langen Dritten Ring in beiden Richtungen befährt. Lange Zeit bin ich regelmäßiger Benutzer dieses Perpetuum Mobiles gewesen. Bei den oft langwierigen Fahrten auf dem keineswegs nur zu den sogenannten Stoßzeiten verstopften Ring habe ich mir die unterschiedlichsten, die Grenze zur Absurdität gern kitzelnden Tätigkeiten zur Gewohnheit gemacht. Ich habe die synchron wackelnden Köpfe eingenickter Fahrgäste fotografiert; versucht zu lesen, während ich das Buch so zwischen mir und dem Vormann einklemmte, dass ich die Hände lösen und mit ihnen mein Portemonnaie in der Hosentasche sichern konnte. Meistens jedoch war es zu voll, um auch nur daran zu denken, Kamera oder Buch hervorzuholen. Und dann habe ich einfach nur immer wieder ausgerechnet, wie viele Exemplare des 300ers wohl gleichzeitig auf dem Ring unterwegs sein müssten. Die Ergebnisse lagen meist bei etwa 150 in jeder Richtung. Bei einer Fahrzeuglänge von (der 300er ist ein Gelenkbus) 18 m ergibt sich ein fast drei Kilometer langer Wurm, stellt man die ständig in einer Reihe unterwegs befindlichen Busse dieser Linie einmal hintereinander auf.
III. Altes vom 300er – Die Busse der Linie 300 folgen tagsüber so rasch aufeinander, dass oft zwei von ihnen an einer Haltestelle hintereinander stehen. Sie sind immer bis auf den letzten Stehplatz gefüllt, im vorderen und im hinteren Teil des Wagens arbeiten je ein Konduktor, oftmals eine Frau, in gelbblauer Uniform. Die Fahrgäste steigen ein und müssen sich nicht mit ihrem Fahrscheinwunsch melden, sie dürfen sich darauf verlassen, dass die Konduktorin sie aus der Masse der bereits abgefertigten früher Eingestiegenen herauspickt., nach ihrem Fahrziel befragt und je nach der Antwort die entsprechende Fahrscheinkategorie auswählt und abkassiert. Dazu findet sie aber erst Zeit, nachdem der Bus die Haltestelle verlassen hat. Während des Halts ist die Konduktorin damit beschäftigt, die Einsteigenden zur Eile anzuhalten: Rasch! Rasch! Rasch eingestiegen, damit der Bus umgehend seine Fahrt fortsetzen kann! Die Konduktorin bewegt sich in einem schmalen Korridor, der jeweils hinten und vorn auf der Länge des Busteils vom Passagierteil durch einen Handlauf abgetrennt ist. Von hier aus können die Dompteure des Busses den ganzen Fahrgastraum belangen, d.h. bezupfen, beschimpfen. Steuert der Bus die nächste Haltestelle an, ruft die Konduktorin den Namen aus und gebietet den Aussteigenwollenden, an die Tür zu treten, sie tut das in einer Lautstärke, die sicherstellt, dass bei der Weiterfahrt niemand mehr im Bus ist, der seine Haltestelle verpasst haben könnte. Beim Ansteuern wie beim Verlassen einer Haltestelle ist der 300er Bus nie allein, gleichzeitig versuchen vielleicht zehn andere Busse der gleichen oder einer anderen Linie, hier anzulegen, wovon weder Fahrradfahrer auf der Busspur noch Taxifahrer etwas wissen wollen, die vielmehr in aller Seelenruhe vor den hupenden Bussen schleichend sich nicht aus der Ruhe bringen lassen. Deshalb übernimmt die Konduktorin gleich auch noch die Aufgabe eines Lotsen. Vor der Ankunft öffnet sie hinter sich das schmale Schiebefenster und hält einen Arm zum Anwinken heraus, sie schreit zum Fenster hinaus, dass WIR JETZT KOMMEN und alle anderen zurückweichen sollen (schließlich hat sie ja gerade nicht mit Abkassieren zu tun), wobei sie heftig den ausgestreckten Arm in der Luft auf und nieder schlägt. Wenn es besonders eng und verworren wird, sie etwa den Arm noch draußen den Radfahrern widmet, die einfach nicht zurückbleiben wollen, nach drinnen aber schon der Strom durch drei Türen drängt, schaltet sich der Busfahrer über Megaphon ein (da die Lautsprecheranlage entweder von der Rieselmusik besetzt oder zu leise oder beides ist) und brüllt rüde nach draußen und drinnen zugleich. Beim Weiterfahren wundere ich mich, dass jede Form körperlicher Gewalt ausbleibt, da sich Ruhe und relative Ordnung im völlig überfüllten Bus auch so immer wieder einstellen. Und wirklich: Niemand wird geschlagen. Niemand protestiert. Es gibt auch keinen Unfall. Keine Toten, keine Verletzte. Es ist ein Wunder. Der 300er umfährt die Stadt auf dem dritten Ring, ohne Endhaltestelle, ohne Betriebsfahrt, immer herum und weiter, in beiden Richtungen. Die Menschen darin werden bisweilen an Haltestellen ausgetauscht. Vom Stehen Schwachgewordene müssen durch frische Aufrechtstehende ersetzt werden. Schließlich darf die Fahrt nie enden. – Wie die tibetische Gebetsmühle wird das Innere der Hauptstadt immerzu umrkreist. Der Weg ist das Ziel. Ein anderes kennt der 300er nicht. Er ist eben ein rechtes Fortbewegungsmittel für die Menschen im Reich der Mitte. Ich aber fahre trotzdem meistens mit dem 830er, der die selbe Strecke befährt, zwar nicht unbedingt schneller ist, denn wie er hält auch der 300er nur selten, er ist aber nicht einmal halb so voll, und das kann nur daran liegen, dass er mit 3 kuai (40 cent) Fahrscheinpreis doppelt so teuer ist wie der 300er.
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Life first unfolds where it was not supposed to.
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Before he left, he thought he had the ability to answer questions. He thought to be capable of understanding simple stories, but then he was told stories like the story of the Benefaction Pond. He read it and, in the beginning, thought it was a simple story. A story like any other story that we read, get something from the readin
g that we keep inside the small invisible pocket underneath our vest and go on with our lives. But he found he had to read the story again. Again and again. The words sounded simple in his ears (he had already begun to read out loud). But there was no understanding in him. No correspandance. He could not get hold of any meaning from the story. But he wanted to leave the temple. Maybe to go to look for a place to eat. It was cold that day, autumn leaves falling onto the pond´s water surface. A cat was approaching the pond from the right side of his visual frame… But this was about to become another story: Approaching story in an approaching cat. A treacherous escape from the story he could not find behind the words of the Benefaction Pond. – He went on. With nothing in his pocket. He didn´t even feel his pocket underneath his vest, maybe it had been closed. Maybe that was the Benefaction Pond story. How should I know?, he found himself sighing.
In einer Gegend, die schon nicht mehr zu Shanghai gehören konnte, war ich zwei Wochen lang in Shanghai stationiert gewesen. Immerhin wurde die Gegend von der Ubahn erreicht, und so stieg ich eines Tages irgendwo aus der Tiefe an die Straßenoberfläche, fand eine mäßig befahrene, aber breite Kreuzung vor, über die ein vorstädtisch beruhigter Verkehr ging, an dem entlang ich meinen Rollkoffer noch einen guten Kilometer hinschob, bis ich an dem Ort anlangte, wo ich nun wohnen sollte, für zwei Wochen, wie gesagt. Es war kein Hotel. Es war keine Wohnung. So wie diese Gegend weder Shanghai noch nicht-Shanghai war. Eigentlich war alles in Ordnung, aber dennoch war ich in Sorge, denn ich hatte auf dem Weg kein Restaurant für diesen und die kommenden Abende gesehen. Auch kein Café. Und als Laden nur einen Lawson an der Ecke. Immerhin würde ich dort rund um die Uhr Bier, snickers, scharfe Nüsse kriegen. Aber ein Ort zum Hingehen oder gar Verweilen war bisher in meiner neuen Umgebung nicht auszumachen gewesen. Am Abend würde ich joggend die Gegend erkunden. Einen Park würde ich ansteuern, den ich auf der Karte ausgemacht hatte. Aber der Park würde sich als Privatanlage entpuppen, die um einen Louis-quinze-Palast aus Fertigbauelementen herum drapiert war, damit von der Straße her niemand des abundanten Reichtums gewahr werden konnte, mit dem hier der Manager eines europäischen Partnerkonzerns für seine Dienste in der Diaspora entschädigt wurde. Ich wurde abgewehrt und lief weiter die Straßen entlang, bis sie plötzlich aufhörte, weil die weiterführende Brücke über den Fluss noch nicht gebaut war. Da noch kein Verkehr da war, der hinüberwollte, stellte der Abbruch dieser breiten Verkehrsader kein Problem dar, und auch das Fehlen jeden Warnschilds: Vorsicht, Absturzgefahr! war bisher ohne schlimme Folge geblieben, mit der der Abendländer an einer solchen Stelle unbedingt rechnen musste. Ich kehrte um, wäre gern noch länger gelaufen, zumal am Horizont die bunt leuchtenden Wolkenkratzer von Pudong beinahe erreichbar wurden. Ich hatte die Orientierung etwas verloren und wusste nicht gut, in welche Richtung, meine Wohnstatt betreffend, ich nun lief. Diesen Moment beim Joggen durch unbekannte Städte kannte ich schon. Es war ein Moment des Genusses. Die langsam sich in mir Platz greifende Erschöpfung vom Laufen, in den Beinen, im gesamten Bewegungsapparat, in der Atmung, ließ die Endlichkeit auch dieses Laufs fühlbar werden. Gleichzeitig aber damit rechnen zu müssen, noch mehrmals die Laufrichtung zu ändern und erst einmal gar nicht zu wissen, wie lange ich noch unterwegs zu sein haben würde, erhöhte die Adrenalinausschüttung, die durch das Neue und Exotische der Umgebung ohnehin bereits zu jener gewohnten Euphorie des Laufens hinzukam, um derentwillen ich mir seit Jahrzehnten mehrmals die Woche die Laufschuhe anzog. Diesem Moment folgte bei solchen Läufen immer die Entdeckung von etwas Unerwartetem, etwas Neuem, mit dem ich nicht mehr gerechnet hatte. In diesem Fall war es die Restaurantmeile. Plötzlich tat sich ein lebendiges Chinesenviertel auf, im Schatten all der großflächigen europäischen Industrieverwaltungszonen und der breiten, kaum befahrenen Suburbanität. Familienmitglieder liefen in Pyjamas über die Straße. Die Idee des Nachtmarkts, ich erinnere mich, wie ich von ihr vor China keine Vorstellung hatte haben können. Es ist die Stunde nach dem frühen chinesischen Abendessen, wenn sich noch einmal Leben regt im Chinesen, wenn noch eine Kleinigkeit zu besorgen ist, wenn im Stehen noch ein gebratener Spieß verzehrt wird. Im Vorbeilaufen musste ich nicht erst beschließen, dass ich nach dem Duschen eine halbe Stunde später wieder hier sein und einkehren würde. Da, wo ich die nächsten zwei Wochen täglich essen würde. Nicht immer lecker. Aber sonst stimmte alles.
16.1.2017: a day with no words to find.
Wohin man sich auch wendet in China, auf dem Lande ebenso wie in den von der tollsten Bauwut heimgesuchten Städten, überall stehen oder werden gerade errichtet: Mauern, Mauern, Mauern. Ihre anscheinende Funktion: Einsicht verwehren. Baustellen abschirmen. Durchgang verweigern. Aber auch: Fußgängern die Richtung weisen, wo es lang zu gehen hat. Läuft man durch die alten Hutong in Beijing, sieht man höchstens in Läden hinein und wie dort alle Familienmitglieder gemeinschaftlich das Geschäft betreiben. Das private Leben der Menschen aber bleibt gänzlich hinter den Mauern verborgen. Man gewinnt den Eindruck: Es gibt gar kein Privatleben in China. Vor schön verzierten Hauseingängen errichtete Mauern mögen Fremde irritieren, können aber mit dem Satz, böse Geister sollten so am Eintreten gehindert werden, erklärt werden. Plakatwände, riesige Monitore, fensterlose Hauswände oder Fensterfassaden verdeckende Spruchbänder hingegen scheinen zunächst nicht unter dem Oberbegriff Mauer subsumierbar. Je länger ich jedoch durch Chinas Städte laufe und versuche, mir auf die so fremden Bau-, Lebens- und Vorgehensweisen der Menschen dieses Landes einen Reim zu machen, um so deutlicher wird mir, dass es fast überall darum geht, Lebens- und Funktionsbereiche durch blickdichte Mauern voneinander zu trennen. Auch in einer erhöhten Schwelle unter einem Tor erkenne ich nun den Geist der Mauer. Ich lebe hier in einem riesigen Mauerlaboratorium, denke ich so manches Mal, wenn ich vom Spaziergang zurückkomme ins Hotel, wo mein Weg mir gewiesen ist durch endlose Hotelgänge, an deren Ende mein Zimmer Nr. 1556 liegt. „Ach“, sagte die Maus, „die Welt wird enger mit jedem Tag. Zuerst war sie so breit, dass ich Angst hatte, ich lief weiter und war glücklich, dass ich endlich rechts und links in der Ferne Mauern sah, aber diese langen Mauern eilen so schnell aufeinander zu…“. In Pingyao, und nicht nur dort, hatte ich sonntags mittags das Gefühl, dass ich vor lauter Mauergestein verrückt werden würde. In dem Moment fand ich zum Glück eine schmale Stiege in der Mauer, die mich hinaufführte auf einen Weg über die Stadtmauer… Häufig ist das auf den Werbeflächen Dargestellte ohne jeden erkennbaren Zusammenhang mit dem hinter der Mauer Verborgenen. Nur wenn die Mauer selbst keinerlei Hinweis auf ihr Dahinter gibt, so scheint es, ist sie eine gute Mauer. Aber der „Faust-Aufs-Auge“-Eindruck, den ich immer häufiger habe, bringt mich darauf, dass das Gegenteil einer Sache sehr wohl in einem Zusammenhang zu ihr steht, und eben gar nicht so beliebig ist. So finde ich oft auch etwas Inspirierendes an der Mauer, was zu all dem Erschreckenden, Absperrenden immerhin einen etwas milde stimmenden Trost der Inspiration bietet, mir nun aber die Mauer erst recht unheimlich gemacht hat. In diesem potemkinschen Umgang mit Mauern kann man einen brutalen Eingriff in die gewohnte Orientierung der Stadtbewohner erblicken, zumindest für den Archäologen der chinesischen Gegenwart birgt er jedoch auch ein großes imagologisches und fiktionales Potential, die Erahnung eines Versprechens, dass auch die scheinbar realitätsfernsten Sehnsüchte einmal verwirklicht werden könnten: Allen voran eine intakte Natur, in der die Menschen sich aufgehoben und ja doch eines Tages wieder tief einatmen werden können. – In Hangzhou sah ich ein Gebäude der Universität verhangen mit haushohen Spruchbändern, unzähligen, dicht an dicht anschließend und so Mitteilsamkeit und Kommunikationsfluß vortäuschend. Aber sie machten uns nur etwas vor, auf allen stand der gleiche, der eine hohle Spruch, der uns alle aufrief, die Ärmel hochzukrempeln und gemeinsam für eine noch bessere Zukunft des Lernens zu kämpfen, und hinter dem Grölen, zu dem der Spruch einstimmig aufrief, verlor sich das Wesen des gänzlich verhangenen Dahinter, des Gebäudes, so ganz in der Unsichtbarkeit. – So ist es aber, das chinesische Mauerverstellspiel, das immer da eingreift, wo sich nach unserem Dafürhalten die Menschen ihr eigenes Bild machen sollten.
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„Warum haben wir den Anschluss abgeschafft?“, fragte Apple-Vize Schiller stellvertretend für wohl alle Gäste und antwortete gleich selbst: „Mut“. Es sei anachronistisch, weiterhin an einem jahrzehntealten analogen Anschluss festzuhalten, wenn die Zukunft sowohl digital als auch kabelfrei ist.
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a view without a room
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never: much more of a sword – than ever: a word
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a room with a view
2.11., 15.59 – The Manhunt for the suspect in the „ambush-style“ killings of two Iowa police officers has ended. A man, 46, was arrested near Des Moines.
27.10., 16.10 – Schubert und Amy Winehouse. Allein mit deren beider Hilfe kann ich mich hier in ein eigenes Framework verschanzen, mir die nötige Sicherheit borgen, um stark in meinen Shanghaier oder – nächste Woche wieder – Beijinger Jedentag zu stapfen. (Aber auch das ist natürlich wieder die reine Kontingenz, die dahinter steckt.)
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24.10., 12.51 – Hochgeschwindigkeit. – Über Beijing lag wie immer Nebel, als ich spätabends aus dem letzten Schnellzug aus Shanghai stieg. Ich hatte aus den Fenstern diese Änderung des jahrezeitlichen Wetters sich nicht anbahnen sehen, dafür waren die Fenster zu sehr getönt, zu schmutzig und zu klein. Vor allem aber war die Geschwindigkeit, mit der wir durch eine stundenlange Mondlandschaft fuhren, die Jahrtausende lang sich selber überlassen war und die es nun innerhalb von fünfzehn oder weniger Jahren zuzubauen galt, zu hoch, um an etwas, das in Höchstgeschwindigkeit von seinem Ursprung wegtransformiert wurde, eine so banale Änderung wie den schleichenden Jahreswechsel zu bemerken. Die bebaute und zu bebauende Mondlandschaft in Hochgeschwindigkeit war völlig lautlos hinter dem Hochgeschwindigkeitsgeräusch unseres Zuges, das daran erinnerte, dass man selber auf einem Pfeil saß und sich von etwas weg auf etwas zu bewegte in einer so hohen Geschwindigkeit, dass man Zeit gar nicht bemerken, sie jedenfalls an nichts feststellen konnte.
Ich bewegte mich mit Höchstgeschwindigkeit und Eigengeräusch an einer Landschaft ohne Gegenwart vorbei, die sich selber ohne Eigengeräusch mit Höchstgeschwindigkeit an einer Gegenwart ohne Landschaft vorbeibewegte. Dieser Hochgeschwindigkeitszug war voll mit Menschen, deren jeder einzelne mit mindestens einem elektronischen Gerät bestückt war (auch ich), das in Höchstgeschwindigkeit permanent die eigene menschliche Restbefindlichkeit in digitale Zahlenwerte umrechnete, die dann in Höchstgeschwindigkeit an die mit Hochgeschwindigkeit rechnenden Geräte anderer Menschen, mit denen man mehr oder weniger bekannt war (mit vielen nur virtuell bekannt, also nur möglichkeitshalber, weil sie ein digital errechnetes ähnliches Profil hatten wie man selber) verschlüsselt übermittelt wurden, um daraufhin von ihnen (oder anderen, ähnlichen Menschen bzw. deren Geräten) andere, aber ähnliche Mitteilungen zu erhalten und zu lesen, die auf die gleiche Weise deren momentane restmenschliche Empfindungen verschlüsselt übermittelt hatten. Aus dem Versenden und dem begleitenden Gefühl der eigenen Mitteilung und dem Empfang und dem begleitenden Gefühl der eingehenden Mitteilung errechnete dann ein jeder der in diesem letzten herbstlichen Sonntagabend von Shanghai nach Beijing fahrenden Hochgeschwindigkeitszug Sitzenden seinen eigenen Glücksimpuls, der daraus bestand (so kürzte der im Bruchrechnen und Bruchkürzen sehr erfahrene Glücksgenerator, der dieses Bruchrechnen und vor allem Bruchkürzen nicht nur im Flug, sondern auch mit Hochgeschwindigkeit am Boden besorgte), dass ich dafür, dass ich jemandem in der Ferne zeige, dass ich an ihn (oder sie) denke, zum Dank das Zeichen erhalte, dass jemand (er oder sie) in der Ferne an jemanden denkt, UND ZWAR AN MICH. Maximale Entfernung und minimale Nähe waren Voraussetzung und Ergebnis einer Gleichung, die mit Höchstgeschwindigkeit immer wieder durchgespielt wurde.
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13.10., 16.51 (kurz nach Einbruch der Dunkelheit…) – Heute habe ich ein Gedicht von Robert Frost abgeschrieben. Ich finde das ok, auch noch in meinem Alter. Beim Essen, im Restaurant, das ich seit vier Tagen täglich aufsuche, habe ich zum ersten Mal in dem schön grün eingebundenen Hanser-Buch gelesen, das ich als eines von zwölf oder fünfzehn lange und sorgsam ausgewählten Büchern mit auf diese Reise genommen habe. Ich kann nur schwer aussprechen, welches Buch es ist. Es hat kaum hundert Seiten, aber ich habe es nicht vermocht, sie zu lesen. Das Buch wurde hoch gelobt. Ein beinahe … Alterswerk eines deutschen Dichterprosaisten, der lange auf dem Olymp … und auch so spricht, der schon seit Jahren immer mehr und auf immer mehr das literarische Fußvolk betörende Weise den Kopf in den Nacken legt, auf dem Feuerstrahl des Bocksgesang gen Himmel gerichtet. Schrecklich. Furchtbar. Thomas Mann depuis la lettre. Und der Betrieb macht mit und glorioliolisiert ihn. Hipphipphurra undsofort. Das Buch hatte ich eingepackt, weil ich von der Familienerinnerungsgeschichte mir Aufschluss und Anregung für mein Rudolfbuch erhoffte. Aber in China kann ich das alles nicht ertragen. Ich lese, jeden Tag nehme ich mir eines dieser Bücher vor, und nach drei Zeilen schweife ich ab, bin woanders. China macht uns alle ver-rückt, wenn nicht platt. Osten von Stasiuk: Geht hier nicht. Sogar die deutsche Übersetzung von „Brüder…“ von Hua – geht nicht. Spencer, Chinas Weg in die Moderne: Der Weg ist vor allem als beschriebener schwer nachzuvollziehen. Dieses Land bringt große Literatur hervor. Aber es ist nicht literarisch an sich. Es lässt sich schwer literarisieren. Was habe ich sonst dabei? Mir scheint, als habe ich mich vor Antritt meiner Reise mit Büchern wie mit Waffen versehen, als habe ein Wettrüsten da in mir gewütet cold-blooded. Ein gelobter China-Führer aus dem links-Verlag: In der Ubahn neulich beim Blättern bin ich mehrmals im Stehen eingeschlafen. Obwohl das alles sehr relevant und zutreffend ist. Aber erhellen könnte es mich vielleicht am Berliner Kaffeehaustisch im Winter, wenn draußen die ersten Schneeflocken in der Luft schmelzen und ich von der weiten Welt träume, da drinnen, wo die Zeit steht. So, also hier, nicht. Es lässt sich hier einfach nicht lesen. Es rührt in mir andauernd, auch im Schlaf komme ich nicht zur Ruhe. Wenn ich erwache nachts, bin ich in voller Bewegung, nicht nur innerlich, es schlackert auch außen alles an mir im Kreis. Im Schlaf selbst bin ich so unruhig, dass ich nicht einmal im Schlaf lesen könnte. Das klingt absurd, aber ich meine ja bloß die Ruhe, die man sich für den Schlaf erwartet, die man vom Schlaf erwarten dürfen muss, um überhaupt einschlafen zu können; wenn ich dann diesen Schlaf gefunden habe und daraus schließen darf, dass ich also auch die nötige Ruhe gefunden habe (denn sonst wäre ich wohl nicht eingeschlafen), dann sollte ich doch erwarten dürfen, dass diese unbedingte Ruhe und ihr Ablöser, der allfällige Schlaf, die ideale Voraussetzung für eine gelungene zumindest zehn Minuten lang ununterbrochen durchgehaltene Lektüre sei; aber sie ist es in meinem chinesischen Fall nicht. Ich kann nachts ebenso wenig lesen, höchstens eine halbe Seite, dann muss ich auf wikipedia nachlesen, wie oft im letzten Jahrhundert der Gelbe Fluss sein Bett verlegt hat, oder ich muss aus dem schwarzen Loch des Fensters hinaus dem ewigen Verkehr des Dritten Rings nachhören, oder ich muss auf Mücken lauschen, die jetzt, im späten Oktober, nicht mehr kommen, oder ich sinne einem gerade eingefallenen Detail meiner Brüggener Kindheit oder was auch immer es ist, dessen sinnlose Spur ich willig aufnehme. Alles ist geeignet, mir in dem Moment der endlichen Lektüre vor den Augen aufzutauchen und mich zu beschäftigen, mich abzulenken von jedem Buch. Trotzdem bleibt mein ganzes Wollen auch hier in China ständig auf die mich fesselnde Lektüre gerichtet, ich denke den ganzen Tag, auch während der Prüfung darüber nach, welches Buch von Foster Wallace ich bei meiner Rückkehr in Berlin kaufen, in welcher Berliner Buchhandlung ich mich nach literarischen Neuerscheinungen erkundigen werde, ich lese in der New York Times Book Review jede Woche nach, welcher Roman zu meinem seltsamen Daseinsvertreib geeignet sein könnte, und ich entblöde mich nicht einmal, regelmäßig die extrem francophon verzerrte le monde-Liste der hundert wichtigsten Bücher aufzurufen und nachzuzählen, ob dort vielleicht ein von mir bisher übergangenes Juwel enthalten ist, obwohl ich schon vorher weiß, dass in dieser extrem francophon verzerrten Liste kein von mir bisher übergangenes literarisches oder philosophisches Buch darauf wartet, von mir entdeckt zu werden. Jetzt ist es übrigens Platonov, auf den meine ganze Vorfreude gerichtet ist, von dessen Baugrube ich bei Stasiuk las, dessen letztes Buch mich aber enttäuscht hat, sei es, weil ich mich nicht mehr in einer dem Stasiukschen Schreiben gegenüber günstigen und das heißt empfänglichen Disposition befinde, sei es eben gerade deshalb, weil ich ihn in China zu lesen vorgenommen habe. Wenn ich mich, nach meiner Bürotätigkeit ins Hotel kommend, aufs Bett fallen lasse, nachdem ich die Hure, die sich zu mir in den Aufzug gedrängt hat, ohne dass ich es merkte, abgeschüttelt habe, nehme ich ein Buch vor, das ich mir auf dem Weg zwischen Büro und Hotel ausgesucht habe und von dem ich mir eine schöne Nachmittagsstunde auf meinem Hotelbett ausgemalt habe, über der die Pekinger Dämmerung rasch hereinbrechen würde, so dass ich mich an der für China so charakteristischen und mich jeden Tag aufs Neue beängstigenden Geschwindigkeit des Lichtverfalls berauschen und so die Fremdheit meines derzeitigen Daseins auf eine eiskalte Weise würde genießen können, und diese berauschende rasche Abnahme des Pekinger Lichts wäre zudem der begleitende Zeitticker zu meiner an diesem wie an jedem anderen Wochentag gründlich ausgesuchten Lektüre und ich hätte also einen mich an den Rand des Abends tragenden dramatisch-gemütlichen Spätnachmittag im Hotel, nachdem ich mich also in dieser hier beschriebenen Vorfreude aufs Bett fallen lasse und das Buch über meinem Kopf aufschlage an der Stelle, wo ich es gestern oder beim Frühstück desselben Tages geschlossen hatte, muss ich nicht erst zwei Zeilen lesen, um zu spüren, dass das Buch, dass dieser Text da vor meinen Augen es heute nicht schafft, meine Aufmerksamkeit zu fesseln, mich mitzunehmen auf seine Fahrt, mich so sehr für sich einzunehmen, dass ich das Auslaufen des Tages gar nicht mehr bemerke, sondern das Verlöschen des Tageslichts nur unterbewusst wahrnehme und dadurch umso stärker, umso unbändiger sich in mir die kalte Lava der Fremdheit ausbreiten kann.
Erst die Mauer, dann der Turm.
10.10., 7:50 – Dem Reisenden kann man etwas vormachen. Denkt der Einheimische. Er lauert überall immerzu auf den Reisenden, vor allem am Abend, wenn er wieder seinen schlechten Schnitt gemacht hat. In die anderen Fallen, die er gestellt hat, ist keiner getreten.
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8.10., 9:39 – Wie man uns heute im Griff hat:
- 百度 一下/baidu yixiar – to google around a bit
- „A well designed product should control people´s lack of control (e.g.: Mercedes´seat button in ergonomic shape of a seat).“
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6.10., 8.51 – Als er das Büro den ersten Tag betrat, saßen die Kollegen mit gesenkten Köpfen da, jeder über sein Buch gebeugt. Wenige hoben den Blick, es waren, so vermutete Z., diejenigen, die früher oder später umzublättern und also den Blick zu heben hatten. Die also nicht zu jenen gehörten, die die eine Stelle immer und wieder lasen, wohin heute ja der Trend geht. Die, von ihrem Roman gelangweilt, die letzten Seiten wieder und wieder in geistiger Abwesenheit überflogen und um jede kleinste äußere Ablenkung fürchten mussten, die ihre langweilige Fixiertheit auf das Schwarzweiß vor ihren Augen gefährden konnte. – Einen solchen Romananfang hatte Z. sich im Nu ersonnen, ohne es zu wollen. Was er wollte, war, den Widerwillen zu überwinden, am ersten bevorstehenden Arbeitstag die schwere Dienstwohnung zu verlassen und einfach hinüberzulaufen ins Büro, sich dort von den neuen Kollegen, diese herzlich begrüßend, empfangen und in die Arbeit einweisen zu lassen. Auf seine förmliche Anfrage am Vorabend hatte er, wann man ihn erwarte, die Antwort erhalten, ab neun Uhr den nächsten Tag sei jemand im Büro. Nun war es bereits kurz nach neun, und Z. saß bei selbstgekochtem Café auf dem Sofa und las in einem heute besonders dicken Buch über die Geschichte Chinas. Wenn es in trockenen Landstrichen regnet, bleibt es ein trockener Landstrich. In feuchten Gebieten hingegen bleibt es auch dann feucht, wenn es einmal längere Zeit nicht regnet usw.
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29.9., 8,23 – Jeden Morgen ist groundhog-day: Da sitzen sie wieder am Straßenrand. Als ob sie gestern Abend keiner eingeräumt, zum Betriebshof gefahren und dort eingestellt hätte, sitzen sie am Morgen genauso aussichtslos an ihrem Platz wie immer. Die Blechbüchse mit dem Klimpergeld im immer gleichen Rhythmus schwingend. Ein Rhythmus, der nur eben mehr ist als das Klappern des Seils an der Fahnenstange am Straßenrand.
An den Pekinger Ausfallstraßen habe ich am Wochenende den Winter angedeutet gefunden. Jene dicken Mongolensteppschürzen sah ich da ausgelegt, die in der wie eine Drohung über der morgens frischen Herbstluft liegenden Winterluft jetzt wieder sichtbar werden. Mit den Steppschürzen spüren wir den Januarwind aus Nordwest unter die Haut gehen wie eine Rasierklinge.
Die für uns wichtigsten Aspekte der Dinge sind durch ihre Einfachheit und Alltäglichkeit verborgen. Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen
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25.9. – Für eine Gruppenausstellung werde ich gebeten, ein paar Werke zum Thema „Protect the animal“ beizutragen. In einem kurzen Beitrag soll ich mein Werk und meine Einstellung zu Tieren erläutern, wobei mir gleich klar wird, dass das Motto dieser kleinen Ausstellung in unseren beiden Ländern grundsätzlich, als Desiderat aufgefasst, ähnlich affirmative Reaktion erhält, dass es aber zugleich völlig unterschiedlich platziert ist, völlig unterschiedliche Grade der Realisierung und der Realisierbarkeit hat. Ich muss deshalb behutsam formulieren und weiß nicht, was bei meinem hiesigen Publikum dabei herauskommt (und werde es niemals wissen):
When chinese people travel to my country, they are often very astonished that they see lots of animals around, and many in the cities. But what surprises them most is: That the animals are not running away from people, that they are not shy before human beings. Foxes are going for a walk through the streets of Central Berlin and everybody is happy to see him. In China, I see very few animals. No mice, no rats. It is dangerous for an animal to show up, I feel it, but I can´t explain why. When I am in China for a longer time, I always begin to miss the sound of birds. The only bird I can hear is the magpie, that black and blue quite big bird who is a killer and who cannot sing but only crackle, this horrifying, sharp noise that foretells nothing good. Why I tell this? Just to give you an idea, that the theme of today´s exposition has different connotations and aspects in my country.
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23.9., 0.49 – Die wundersame Schönheit des Suan Yuan Qiao. The irresistible beauty of San Yuan Qiao. There is nothing more rejecting, human-pace-denying, concrete-infused and bitterly aesthetics-defying. Somebody will have to write a novel about this, at least a vibrant comic strip!
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20.9., 23.37 – Was sind das für archetypische Figuren, die da aus den Pekinger Gelenkbussen zum Fenster hinaushängen und mit etwas neuzeitlicheren Megaphonen, als zu diesem Schauspiel passen würde, in die Straße, auf die Straße blöken, im Einzelnen Unverständliches, aber dem Ton nach unverkennbar Befohlenes, das keine Antwort erwartet. Auch keine Antwort duldet, es ist kein Aufnahmeorgan an dieser Apparatur zu erkennen, deren Menschliches – das Gesicht mit dem bewegenden Mundwerkzeug – zwischen dem kleinen Fenster nur gelegentlich zu erhaschen ist, die Stimme ist omnipräsent, schallt herauf zu mir ins sechzehnte Bürostockwerk. Sollen alle verschwinden, „AUS DEM WEG! AUS DEM WEG!“? Oder geht es um mehr als bloße Verkehrsbereinigung? Und wenn beim Rechtsabbiegen des Busses die Hand als Kelle wedelnd heraushängt aus eben jenem Fenster, wird damit den längs am Bus Vorüberfahrenden befohlen, stehen zu bleiben und dem Bus Vorfahrt zu lassen, oder geschieht es zum Ausruhen des Rufers?
(Skizze eines Gedankens) … dass die Papierservietten in den Restaurants einem, kaum da man sie aus dem Spender gezogen hat und beginnt, sie zu gebrauchen, unter den Händen zu einem popelsgroßen Papierknubbel gerinnen, den man auf den Haufen vor einem tut, dem nun wachsenden Friedhof der Kuscheltierchen… Ich denke dann jedesmal an einen sparsamen Umgang mit natürlichen Rohstoffen durch die neuen Chinesen. Aber das stimmt nicht, da schleicht sich ein Fehler ein jedesmal. Vor fünf Jahren standen diese Spender noch nicht auf den Tischen. Man musste jede gebrauchte Papierserviette der Kellnerin abbitten. Es ist die allgemeine Sparsamkeit vielmehr. Wobei auch diese Korrektur eine erneute Unwahrheit in den Verkehr unserer so wahnsinnig spannenden Wahrheiten bringt.
Alles was in dieser Stadt an Sagen und Liedern entstanden ist, ist erfüllt von der Sehnsucht nach einem prophezeiten Tag, an welchem die Stadt von einer Riesenfaust in fünf kurz aufeinanderfolgenden Schlägen zerschmettert wird. – Kafka, Das Stadtwappen
19.9., 0.59 – Das Bad fängt jetzt doch an, mich zu nerven. Es stinkt nach Kloake, da kann ich so oft abspülen wie ich will. An den Fenstern lassen sich nur die Oberlichter leicht nach außen aufkippen, aber herein kommt dann keine frische Luft, draußen säuselt ein stickig verstocktes Gemisch aus Staub, Großküchenmief und vor allem so sehr und oft verbrauchter, verachteter und immer wieder nur schlecht behandelter Schindmähre von Luft, die ihren Kopf nicht mehr heben kann, um aus hohlen, ausgelaugten Augen noch feststellen zu können, wo sie für Frischluftversorgung zuständig sei. Mücken lieben und gedeihen in solchen Luft- und Erstickungszuständen, sie triumphieren über den umgekippten Zustand der Atmosphäre, der Seen, der Klimaanlagen. Letztens trat ich beim Aufwachen aus unruhigen Träumen in eine große Lache Wasser links neben meinem Bett. Hatte ich im Traum neben das Bett gepinkelt? Ich schaute nach oben, in das starrende Siebmaul der Klimaanlage, das mich um Himmels Willen niemals anhauchen soll. In der Nacht musste es sich erleichtert haben, schloss ich, und ich hatte vor mir und meinen chinesischen Traumauswüchsen gegenüber wieder etwas weniger Furcht.
17.9., 23.55 – Die übereinander geschlagenen Beine der in der ersten Reihe sitzenden Glieder des Botschaftspersonalschwellkörpers wippen im Rhythmus des Botschaftskörperbluts. Auf und ab. Im Gleichschritt. Natürlich unnatürlich, eigentlich doch als widernatürlich erkennbar schon vom Betrachten. Walsers Füße in Schuhen, die vertauscht wirken. Den linken Schuh trägt er rechts, der linke Fuß ist vom rechten Fuß bekleidet. – Von links versucht ein Botschaftsdiener, im zugeknöpften Krawattenanzug wie alle seine anderen Unteroffiziersgesichter, aber niederen Grades, weshalb nur ihm diese Aufgabe übrigbleibt, dem Herrn Walser das Glas Weißwein anzureichen. Doch Walser sitzt mitten auf der Bühne und ist der im Moment redenden Koautorin Thekla Chabbi gerade zur anderen Bühnenseite zugewandt, in entspannter Haltung, das linke Bein mit dem rechten Schuh dran ausgestreckt, das rechte mit dem linken Schuh angewinkelt. Den rot angelaufenen, weithin sichtbaren, nach hinten, vorne und den Seiten auskragenden Kopf in ein Dreifingerstativ der rechten Hand gestützt. Der Diener, als ungeschulter Diener daran zu erkennen, dass er das auf dem mit der Rechten gehaltenen Tablett stehende Walser zugedachte Weinglas mit der linken sichern muss. Mehr Hände hat er nicht, er ist sichtlich in Not, der Anzug spannt über dem kleinen, aber schon etwas vor dem dreißigsten Lebensjahr platt und durchgesessenen Hintern, ein treffliches Bild für die sogenannte Komik ohne Worte. Doch Mut gefasst! Mit einem Satz springt der Bückling ins Bild, den Oberkörper Richtung Boden gekrümmt, wo es doch auf gar keine Tafel eine Sicht gibt, die er krümmlings freizuhalten hätte. Walser bleibt abgewandt, als einziger im Saal die komische Bücklingsanbiederung nicht zur Kenntnis nehmend, das Publikum gespalten in Mitleid, Spott und verzweifeltes Weggegucke, Walser wirkt kurzatmig, aber viel notdürftiger der Bückling, dem kein Walser das Weinglas abnimmt, die Hose gespannt nach hinten längs gestreckt setzt er das Glas dem Walsersessel zur Seite und nimmt rückwärts kriechend Reißaus. – Die Botschaftssippe ist doch immer wieder eine uns ganz und gar abstoßende, dachte ich, wir gehen hin, folgen einer sogenannten Einladung, und sind im Moment, da wir das lächerliche Ausweisschleusenwartenzeremoniell haben über uns ergehen lassen, abgestoßen und tun aber gleichwohl so, als gäbe es jetzt kein Zurück mehr, was ja nicht stimmt, dachte ich.
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15.9., 23.50 – Auf dem Fahrrad von sechs bis elf am Abend durch die Stadt gefahren. Immer wieder den Weg dahin eingeschlagen, wohin ich noch nie gefahren war. Obwohl ich im Großen alles schon kenne, mich überall zurechtfinde, aber ich wollte auf eine mir gegenüber noch weitaus perfidere und abgezocktere Art ausschließlich und unbedingt Neuland erlebend betreten als jemals in dieser Stadt zuvor ich irgend konsequent vorgegangen war.
Und spielend fand ich alle neuen Wege, Hutongs, den süßen essbaren Müll-Gestank, mein altes Fahrrad fuhr im richtigen Takt, niemanden überfuhr ich, nichts flog unbemerkt vorbei (Blödsinn, konstruktivistischer!). Zwei äußerst sympathische chinesische Männer sprach ich in ihrem ordentlichen Militär- und Anglerausstattungsladen. Mao, Zhou Enlai und die ganze Rasselbande waren alle porträtverehrt an den Wänden. Modelle von Ausstattungsgegenständen, insbes. Waffen der Volksarmee konnten hier Kinder kaufen. Und ich schüttelte Hände und lobte die Chinesen, und jene Waffenspielzeug und Militärdevotionalien verkaufenden mittelalten Männer lobten mir mein Land über den grünen Klee, dergestalt, dass ich das Tarnfarbentshirt, das ich angewidert und selber nicht mehr wissend, warum ich es überhaupt angefasst hatte und herausgenommen aus dem Kleiderständerberg und hoch gehalten hatte zum Signal meines Kaufinteresses, nun nicht mehr anders als zu kaufen wusste, und ich kaufte es, vorher hatte es 60 gekostet, und als ich sagte, ich würde es kaufen, wenn es in der Größe XL vorrätig wäre, kramte der eine Ältere ein wenig hinter dem Ladentisch und kam bald mit dem Tshirt in meiner Größe hervor, und als er dann auch noch ungefragt den Preis auf 30 herabkorrigierte, da musste ich es kaufen, um der Ruhe willen, um des lieben Frieden willens. Heute hatten wir ja schon und gestern so viel darüber diskutiert, ob nun der erste oder der zweite Weltkrieg mehr an den Nerven, an der langfristigen historischen Widerstandskraft der Deutschen gerüttelt gehabt habe und deshalb drängte sich zum Beispiel auch heute in dem Moment, da die Studenten ein Fazit zu ziehen sich anschickten, mir die Frage auf,…
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Lange hatte er nicht so weit östlich gedacht. Es war ihm aber, wie er jetzt, wieder im sogenannten fernen Osten, glücklich bemerkte, nicht abhanden gekommen. Er hatte also auch die Jahre im Westen östlich-westlich denken können. Wie er heute durch den Chaoyangpark lief, erinnerte er sich an beinahe jede Weggabelung, jede Mülleimeraufschrift, aber er hätte ohne die neuerliche Anschauung die Bilder, die Details nie mehr hervorrufen können aus dem Orkus der Bilder (Was wohl alles in ihm unaufgeräumt lag?). Er war mitten im Osten, aber ein Osten war das heute, der sich den Westen auf seine Weise lange schon einverleibt hatte. Nicht lange schon, erst zwanzig Jahre, aber doch schon gründlich, als Rache vielleicht für die Jahrhundertelange Unterdrückung durch den Westen, Rache jetzt zu einem Zeitpunkt, da man endlich ein Abracadabra erfunden hatte, es dem Westen zu zeigen, stark zu werden, weltenstark.
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china daily kündigt hoch erfreut die Anstrengungen an, die von der Nation quasi zur Vorbereitung des Nationalfeiertags freudig erbracht werden: „A gigantic flower basket composed of peonies and lotus will be ercted at Tian´anmen Square, the core area for this year´s National Day celebrations.
The basket, made through 3-D printing, will be 17 meters tall, with a diameter of 50 meters, according to the central Bureau of Landscape and Fo
restry.
167.000 pots of a new type of chrysanthemum, cultivated in Beijing, will be presented for the first time.
Yu Xuebin, head of the company in charge of presenting and maintaining the flowers, said one can get the best photos about 30 meters away from the giant basket.
According to media reports, the flower decorations on Chang´an Avenue will include a „bridge“ that can carry the weight of a car.
The „bridge“ will be made of about 20.000 translucent bricks, each containing the national flower of one of more than 80 countries along the ancient Silk Road and the Maritime Silk Road.
Zhang Yanchen, a 29-year-old Beijing resident, said on Friday that he looks forward to seeing the bridge flower decoration. „Because of the splendid flower decoration, driving along Chang´an Avenue will become a perfect delight for the eyes.““
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13.9. – Ich hätte längst… – aber warum eigentlich? – anfangen sollen, von den Dauergeräuschen zu schreiben, die mich in dieser „Wohnung“ (eine unbewohnbare Behausung…) immerzu einlullen und aufschrecken. Ich bin, wie gesagt, im 14. Stock. Ich schaue aus dem Fenster auf die brutal gekachelte Doppelfassade mit der Aufschrift „Landmark Towers“, rot von oben nach unten verlaufend. Dazwischen ist ein vielleicht vierstöckig niedriges Verbindungsgebäude, auf dessen Dach die gewaltigsten Lüftungsventilatoren angebracht sind, die man sich bis vor zirka siebeneinhalb Jahren vorstellen konnte. Sie laufen Tag und Nacht und entlüften wahrscheinlich noch die chinesische Botschaft in Ho-Chi-Minh-City. Öffne ich das Fenster, so gelangt zwar zumindest die zwangsersponnene Ahnung von Umluft und Frische in meine Umgebung, aber unbedingt und zuvörderst ist es der dröhnende Lärm, der sich schon durch die geschlossenen Fenster wie der Tod vor Stalingrad angekündigt hatte. Trotzdem öffnet man früher oder später ein solches Fenster. Man muss einfach…
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10.9., Samstag
Meine Gedanken schwärmen weit von hier. In der polnischen Provinz falle ich vom Himmel. Herbst, von Krakau aus kommend, kündigt sich der herbst mit Morgennebel über den Feldern an, der auch unter der höher steigenden Sonne sich nicht auflöst. Menschen, die in die Kirchen gehen, scheinbar widerwillig die jungen, aber ohne Murren. Glocken. Alle sind etwas mehr herausgeputzt als sonst. Die Arbeit ruht. Die Autos fahren langsamer, rücksichtsvoller, nein: andächtig ist das Wort.Der erste Samstag. Kein Telefon klingelt, niemand weckt mich, kein Kaffeegeruch aus der Küche. Ich werde anscheinend nicht gebraucht. Das ist schön. Und macht einsam. Ist einsam. Bis halb zehn geschlafen, dann ungewaschen ans Frühstücksbuffet. Fühle mich weniger fit als während der Woche. Die Glieder rumpeln und humpeln ein bisschen, leichtes Herzrasen, Lebensnervosität. Es muss etwas passieren in mir aus mir mit mir, denke ich beim Anblick der Betonkolosse vor meinem Fenster, die Stadt Peking ruht in ihrem Betonsarg, den die Stadtväter ihr in den letzten zwei Jahrzehnten ums Herz gelegt haben. Wie man gebettet wird, so liegt man eben. Jetzt liest man, dass die Stadt pro Jahr um vier inch im Boden versinkt, im Chaoyang-Viertel, also hier um mich herum, wurden sogar zehn inch pro Jahr festgestellt. Was vor allem an dem abgepumpten Grundwasser liegt, dessen Kammern in der Folge einstürzen.
Das Modell „Er über fünfzig, sie gegen dreißig“ geht hier immer noch gut. Abends in den Kneipen vor allem, einsteigen sieht man sie in Taxis, an der Bewegung zu erkennen, dass man sich noch nicht lange kennt, aber auch tagsüber laufen sie durch die Straßen, im Restaurant sitzen sie, sie übersetzt ihm die Speisekarte, er kann die Hände nicht bei sich halten, ein pubertierendes Verhalten, das ganz neu aus ihm herauskommt.
Wir, XP und ich, sitzen im Blue Frog und haben B52 bestellt, einen shooter mit Kaffeegeschmack. Rein aus nostalgischen Gründen sitzen wir hier, in dieser gepflegt leidlich belebten Ödnis im teuer gewordenen Sanlitun, früher haben wir hier unsere nächtlichen Streifzüge beginnen lassen. Dick gewordene Jungchinesen hängen heute hier herum, früher waren überwiegend junge Langnasen hier, denen ist es mittlerweile zu teuer geworden, früher konnten sich die Austauschstudenten hier alles leisten, immer eine oder zwei Klassen über ihrem Standard daheim, heute nicht mehr. Und umgekehrt ist es für die Einheimischen, die hier früher Menschen zweiter oder dritter Klasse waren, erschwinglich geworden, in den lounges abzuhängen, die hier in Zeiten, als China kein Vergnügen kannte, von den ausländischen Botschaftsangehörigen gegründet wurden als Sündenpfuhle. Während sich hier die dicke Jugend verlustiert, mit vollem Mund und den Blick nicht auf das Gegenüber am Tisch gerichtet, sondern entweder auf das Handy in der Hand, oder auf einen der in allen Ecken hängenden Bildschirme, wo die paralympics übertragen werden. Was für eine Dekadenz. XP: Man darf es ja nicht sagen, man machte sich maximal politisch inkorrekt, aber, ganz ehrlich, wer will das sehen, wie arm- und beinamputierte da um die Wette laufen. Das würde ich nicht einmal anschauen, wenn ich selber behindert wäre. Lacht, und hat recht zu lachen.***
9.9., 20:15 Die verdammte Langsamkeit des Internet. Man wird immerzu verlangsamt, dann herausgeschmissen, dann bestraft, dann nach einer Strafpause wieder reingelassen, derart… dass man immerzu darauf sinnt, die Bremse zu umgehen, zu hinterschleichen. Das tut man fast die ganze Zeit, nicht nur beim Surfen.
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Das Schwebende des Straßendaseins. Weil die Autos immer untertourig gefahren werden. Danke, chinesisches Temperament! Alles wimmelt immerzu, aber ohne das südeuropäisch Hektische des Gasgebens und Bremsens, womit der europäische Mann den Kontinent beherrscht. Er will ihn beherrschen, domestizieren aber kann er ihn nicht, er wühlt ihn immerzu nur mehr auf mit seiner wichtigsten Tagesbeschäftigung, noch vor dem vorgeblich Wichtigsten, der Arbeit: mit der wenn schon real kaum möglichen, so um so mehr symbolisch betriebenen Penisverlängerung. Der Asiat hat einen Kleinen, und is gut so. Trinkt er sich seinen Schlangenlikör und … Zwischen Symbolik und Prothetik das Wichtigste des europäischen Mannes.
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Büroatmosphäre – Etwas täglich bauen, was gegen die Natur ist. Was eigentlich gegen die Wand fahren muss.
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Nie siehst du einen chinesischen Mann dir etwas abgucken (aber immer hörst du sie vom Nebentisch „laowei“ sprechen, worüber sie voll der Neugier sind), geschweige eine chinesische Frau dich anschauen.
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These: Einen Restaurantbesuch (als Versuch) vergisst du dein Leben nie. (Gesprächsverhalten von einem Restaurant zum anderen…)
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Geschenke hier müssen immer groß sein. Ihr Nutzen ist irrelevant. Der Effekt, den das overwhelmingly große spektakulär verpackte Ding beim Überreichen macht, ist entscheidend. Weshalb es auch oft unausgepackt auf die Kredenz zu stehen kommt, von wo es nach Wochen für immer verschwindet.
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Prüfertraum – Die Art und Weise, das Bett, in dem ich liege, aufzuschlagen, muss ich immer wiederholen, da, wie ich es mache, es nicht dem abgeprüften Standard entspricht, also wieder hinlegen, zudecken und erneut, in höchster Anspannung, das Bett unnatürlich behutsam aufgeschlagen, bei diesem Endlosschleifentraum werde ich wach, da ich nicht rauskomme, vor lauter Verzweiflung werde ich wach, und werde inne, wie ich mich hin- und herwerfe im würklichen Bett, mit derselben Verzweifeltheit.
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7.9., 21:01 – Betrug. – Ich war hierher gekommen, um all das wiederzusehen, was ich vergessen, aber in wohltuend verheißungsvoller Erinnerung hatte. Hier sehe ich genau das alles wieder, so vieles, das ich nie mehr erinnert hätte, wenn ich es nicht noch einmal erfahren, gespürt, gerochen und gesehen hätte. Aber weil es eben nichts neues ist, sondern einfach in das Regal gestellt wird, in dem es schon steht, wenn auch weiter im Hintergrund meiner Aufmerksamkeitsverfügbarkeit, ist es eben nicht von der unerhörten Erlebnisqualität, nach der es mich dürstete.
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Beim Frühstück saß mir gestern eine Frau gegenüber, die ich nicht lokalisieren konnte. Asiatisch ja, aber nicht chinesisch. Als sie mich ansprach und fragte, was ich lese, versuchte ich die Antwort der vorher schon überlegten Frage zu erzwingen, da meine Antwort davon abhängen musste. – Sie war aber Brasilianerin, und so antwortete sie auf meine Antwort, ich lese ein Buch über den Osten, in dem alle aus Osten nach Europa Gekommenen als Menschen zweiter Klasse angesehen werden, damit, dass es bei ihr zu Hause ähnlich sei, nur dass die aus unserem Osten bei ihnen die mit der schwarzen Hautfarbe seien, deren Vorfahren als Sklaven einst ins Land gekommen. Ich musste gehen und empfahl mich auf den nächsten Tag, aber heute früh sehe ich sie nur von hinten, wie sie mit einer Chinesin sich unterhält, die heute da sitzt, wo ich gestern saß.
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Regen, als ich aus dem Supermarkt herausgehen will, große Aufregung, alle stauen sich im Ausgang unter der Gummivorhangtrennwand, großes Hallo vor dem Wetter-Kotau. Man witzelt und stichelt sich, hej, lauf schon, du Warmduscher…! Ein Bauernvolk, den nächsten Witz ergreifend, keine Distanzierung von innerer Regung und Vermittlung derer nach Außen zu kreieren versuchend.
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Das Holocaust-Memorial in Berlin habe ihr viel Inspiration für Landschaftsarchitektur gegeben, erläutert eine chinesische Designstudentin in der Prüfung. Man habe dabei eine stets andere Perspektive durch verschiedene Pflanzen, nachdem sie das Memorial „grün“ nach China verlegt habe, wo sie es schließlich „history street“ genannt habe. Warum? Weil die Pflanzen von unterschiedlicher Höhe seien, so wie Bäume und auch Gefühle und Erlebnisse, aus denen sich die Geschichte natürlich ergebe. – Was sind denn in dem bilingualen Studium bilingual gelernt habe, möchte ich wissen, schließlich heißt der Kurs ausdrücklich so. Manche Theorienamen habe man auf englisch gelernt. Beispiel? „Flüt plant – Li vplant“. ? Ach so, fruit plant and leave plant.
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Passwörter werden in China vergeben. Dann gehören sie einem selber. Nicht wie in EU, wo man sie selber sich ausdenkt. Hier wird einem erlaubt, dass man die Passwörter, die für einen bestimmt werden, auch selber wissen darf.
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Schönes Wetter verdanken wir dieser Tage dem G20-Gipfel in Hangzhou. Dafür werden in ganz China die Fabriken abgestellt, also dafür, dass keiner der ausländischen Reporter, die jetzt hier sind, Aufnahmen machen können, die einem bösen Chinabild weiter Verbreitung verschaffen helfen könnten. Aber nicht nur schönes Wetter gibt es, sondern auch kein Internet. – Das Chinabild in Deutschland sei jedenfalls negativ, will die Germanistikstudentin der Eliteuniversität in einer Forschung herausgefunden haben. Undzwar in der ZEIT, sowohl was die Perspektive Politik und Gesellschaft, als auch Umwelt betreffe. Im Konflikt zeigten die Deutschen „typisch deutsche Verhaltensweisen“, sie seien offen und direkt. Der Sinn des Germanistikstudiums in China sei es eben, die Feindlichkeit gegen China aufzulösen und zukünftig „sinnlose Konflikte zu vermeiden“. Warum die Deutschen Ai Wei Wei (verwechselt ihn zuerst mit Tu You You, Gelächter!) mögen? Weil sie ihn nicht verstehen und weil er es verstehe, gerade daraus Kapital zu schlagen. Und er mache das in einer so perfiden Weise, dass die Deutschen, die sonst so klug seien, nicht einmal merkten, dass das, was er mache, gar keine Kunst sei. Das ist doch nicht schön!
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Man kriegt bei diesen Prüfungen ziemlich schnell eine Idee davon, wie Wissen hier proportioniert, aufbereitet, portioniert, häppchenweise in ganz neuen Formen neu entstanden und mit Konservierungs- und Farbstoffen garniert an die Jugend verabreicht wird. Die anscheinend gar nichts merkt. (Nicht einmal die deutschen Experten, die sich lange genug mit sog. Sinologie beschäftigt haben und erst recht, wenn sie chinesisch eingeheiratet sind, merken irgend etwas). Prinzipien des Studiums: Nichts Neues erfinden (schon gar kein neues Rad!, Die Welt, die nicht vorgesehen ist, darf nicht der Fall sein.) Alles muss morgen genau so sein und aussehen wie wir Lehrer es gemacht haben, ihr dürft nicht selber etwas erfinden, was wir heute nicht vorhersehen können.
Ich fühle mich wie ein schweres Flugzeug, das seit Jahren versucht abzuheben, aber noch am Boden mit offenen Schubklappen von einem Ende des Flughafentransitzonenreviers zum andern, und immer hin und her wütend sich beschneidet.
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5.9., 00:43 – Habe nie zuvor so gut den jetlag übertölpelt. Ich habe ihm keine Chance gegeben. Es muffelt die Klimaanlage vor lauter in ihr gärenden verschimmelten Filtern, die niemals gewechselt werden. Wenn man einen Fuyuan ruft, der das Internet einrichten soll: Er kann eine noch sehr schimmernde Null sein, er kann noch sehr nach billigen Zigaretten oder unverzeihlich rohem Knoblauch riechen, seine Socken können durch die billigen Lederplastikschuhe löchrig sein; er wird dir dein Computerproblem in Windeseile beheben. Dazu holt er ein Handy aus Tasche links und ein anderes, größeres aus Tasche rechts, dann gibt er hier ip-Adressen und Passwörter und Regierungscodes und Dünnpfiff ein, und schon an seinem Zucken „Hao“ erkennst du im Erahnen, dass er es hingekriegt hat. Kein Helfershelfer gibt sich je die Blöße, den ihm eng abgesteckten Rahmen, in dem er seine Professionalität und Zuverlässigkeit unfehlbar unter Beweis stellen muss, um am Ende des Monats seine Kröten zu bekommen, je mit einem Makel zu versehen.
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Die Hochhäuser, die im Jahr ihrer Entstehung einheitlich im Ensemble aufgebaut werden. Dann wird ein Jahr später ein weiteres hinzugestellt, das dann aber nicht mehr dazu passt, neuer ist, weiter auf dem Weg Chinas in die Zukunft. Eine kleine Faust aufs Auge.
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4.9., 22.30 Uhr – Ich will es nicht sein, aber ich bin enttäuscht am Ende meines ersten Tags in Beijing. Nicht über die schlechte Luft, die so schlecht ist vor fünf Jahren, als ich von hier wegzog. Nicht über den Schmuddel und den muffigen Geruch nach jahrelang nicht gewechselten Filtern, durch die Klimaanlagenluft in Wohnräume gepustet wird, auch nicht über die neuen Gebäude, die ebenso schäbig und nur für die ersten zehn Jahre gebaut ist und nicht für das Wohlergeben der Leute. Nein, es ist das Gleichgebliebene, was mich ärgert. Es ist weder VIEL besser noch VIEL schlechter geworden, die neuen Gebäude sind zwischen die gestellt worden, die schon da gewesen.
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Mein Fahrradverkäufer von damals ist immer noch da. Er lebt also! Die Haare genau so sauber weiß wie eh und je. Ohne die Absicht, schon am ersten Samstag gleich ein Rad zu kaufen war ich neugierig auf ihn, zu sehen eben ob es ihn noch gibt. Gespräch. Händedruck. Erkannt! Zenmeyang, brauchen Sie nicht ein Fahrrad. Ja, ein altes?! Lakonisch wie er immer war, gibt er keine Antwort, dreht sich um und rüstet eine alte Karre für mich auf. Hundertzwanzig Kuai. Bezahlen können Sie später, nehmen Sie das Rad ruhig schon mit. So schnell kann man selten ins Glück geschossen werden. Als nach fünfhundert Metern die Hinterradbremse abfällt, kann mich das nicht betrüben. Ich hatte es fast erwartet. Am nächsten Tag bin ich schon zum Flicken des Reifens bei einem anderen Handwerker. Und nach einer Woche reißt die Kette. Als ich ihn Frage, warum in China nur Schrott verkauft werde, bietet er mir an, das Rad für 100 Kuai zurückzunehmen. Aber hat er denn vergessen, dass ich es ihm bis heute nicht bezahlt habe?
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Schön, dass die Angestelltinnen gegen Ende der Schicht sich mitten in die Schankstube zwischen die sitzen bleibenden Gäste setzen und fleißig Knoblauch mit den Fingern schneidbereit freilegen, dabei genauso laut plaudern wie die beschwippsten Tischgäste. Auch über die Langnasen wird hergezogen, das sehe ich den hinnickenden Mädchenköpfen doch an.
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Kann man Fortschrittsgeschwindigkeit ssoo messen: Das größte Ubahnnetz der Erde hat heute 422 Stationen: NYC. Es wurde im Jahr 1904 eröffnet. Das zweitgrößte hat heute 364 Stationen: Shanghai. Es wurde 1993 eröffnet. In den nächsten zehn Jahren sollen weitere etwa 200 Stationen hinzukommen. Für das New Yorker System gibt übrigens derzeit keine Expansionspläne.
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Schon bei auch nur mäßig zünftigem chinesischen Essen dampft der Ausgang ganz gehörig am nächsten Morgen überm Kessel.
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Ich fühle mich wie ein schweres Flugzeug, das seit Jahren versucht abzuheben, aber noch am Boden mit offenen Schubklappen von einem Ende des Flughafentransitzonenreviers zum andern, und immer hin und her wütend sich beschneidet.
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Salz heißt „Salt“, Pfeffer heißt „Pepper Salt“
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… als der Landeanflug beginnt, kündigt eine stimme an, dass nun die Kabine desinfiziert werde. kurz darauf geht der mit einer Atemschutzmaske versehene Flugbegleiter sehr behenden Schrittes durch den gang, eine hand hinterm Rücken, die andere vorgehalten mit dem Desinfektionsmittel, das er in recht sparsamen Intervallen unters Volk sprüht. Sinn? Ritual? Vorschrift, formal erfüllt!
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Beobachtung, immer wieder: Gegen Ende jeder Flugreise werden die Passagiere, die jetzt weit von zu Hause, ihrem Abflugort, entfernt sind und die vorher laut sich in ihrer Muttersprache vernehmen ließen, immer leiser, während diejenigen, die ihrer Heimat, dem Ankunftsort, sich nähern und die bisher nicht zu hören waren, immer lauter, heiterer, aufgeregt reden sie nun in deftigem Pekinger Akzent über die Sitzreihen hinweg mit ihren Landsleuten, die sie vor der Reise gar nicht kennen mochten, welche vielmehr bloß die gemeinsame Heimatstadt, auf die man zufliegt, für die verbleibende Flugzeit zu Compatriotas macht, die sich in der Rückkehr ihr Ithaka skandieren.
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(Gefühl beim Einsteigen ins Flugzeug: „mashang kaishi“)
Der Weg, den alles Geistige geht, ist der Weg, den alles Irdische geht. Denke ich heute, und einen solchen Satz, der auch mir, dem gestern noch Muttersprachlichen, falsch klingt, obwohl ich weiß, dass er richtig ist undsoweiter, hätte ich noch vorgestern nicht auszusprechen gewagt. Ich stoße mit mir selbst an, die Bierdose gibt einen dumpfen Blechklang ab, der den ohnehin schalen Geschmack ihres Inhalts niemals beleben könnte, aber trotzdem würden wir es niemals niemals lassen, die Dose leerzutrinken. – Damit sei gesagt und ist vielleicht gesagt, dass hier und heute nichts verhandelt werden soll und kann, es soll hier ein Blog entstehen und dafür braucht es gefälligst Zeilen. Zeilengeld gibt es nicht, das ist schon ausgelegt, und deshalb bleibt uns nur, mit Wilhelm von der Kleist aus Lüttelbracht, der heute vielleicht selbst ein Opfer der Maltis geworden ist, für die er lebenslang … bestritt. Hochvernehmlichst, jedenfalls, undsoweiter verbleibe ich. Ihr G.